Zerbrechliche Kunstwerke
Foto: Thorsten Gutschalk
von Vanessa Dörfler
Eine geschickte Drehung noch, ein bisschen mehr Hitze – schon ist die Weihnachtsbaumspitze fertig! Die Kinder in der Turnhalle der Schillerschule sind begeistert, klatschen und bestaunen die Glasbläserin, die vor ihnen steht. Mit großen Augen blicken sie auf Helmut und Sabine Sommer, zwei Glasbläser aus dem fränkischen Coburg. Sie fahren seit 36 Jahren durch Deutschland und zeigen in Schulen und auf Märkten ihre alte Handwerkskunst.
Finanziert vom Förderverein konnten sie den Lampertheimer Kindern in zwei Vorführungen ganz genau erklären, wie aus Glas ein Schwan wird, wie schwierig es ist, eine kleine Blumenvase herzustellen und wie lustig zierliche gläserne Tierfiguren aussehen können. Nie war der Vormittag langweilig für die Vor- und die Erstklässler: Helmut Sommer führte sie geschickt durch seine und die Vorführungen seiner Frau, hatte sie mit seinen Worten fest im Griff und erlaubte sich manchen Scherz mit ihnen.
Die Schüler lachten alle mit, wenn David und Mila in einen durchsichtigen Schwan bliesen und nicht nur die Kinder vor ihnen, sondern auch sich selbst nass spritzen. Sie bestaunten, wie lange Glasfäden sich von Werkstücken lösten und jubelten, wenn der Glasbläser seinen Brenner aufdrehte und die Flamme spektakulär flackerte. „Ich darf keine Pause machen, sonst ist die Spannung im Glas zu groß und alles geht mir kaputt“, erklärte Sommer. Zuhause arbeitet das Ehepaar stets in geschlossenen Räumen, kein kalter Lufthauch darf die fragilen Arbeiten berühren.
Mit der Baumspitze – durchsichtig und an der Spitze fein gedreht, ihr kugeliger Bauch mit Einstichen, den sogenannten Ochsenaugen, versehen – geht Helmut Sommer vorsichtig durch die Reihen der Kinder, entlang der Turnmatten und Bänke. Jeder staunt, auch als er die bunte Vase zeigt, die eben noch ein ganz normaler Glaskolben war. Mit Tupfen in Gelb und Streifen in blauer und weißer Farbe, mit einem ebenen Boden, den der Glasbläser mithilfe eines viereckigen feuerfesten Steines gemacht hat, steht sie nun auf dem Tisch. Rings um sie herum Pinguine und Schäfchen, Tiger und Elche, aber auch feine Glasfedern und Tintenfässer.
Die Kunst des Glasblasens ist vielfältig, Helmut und Sabine Sommer sind begabte Botschafter ihrer Zunft. Nach dem Termin in Lampertheim fahren sie mit ihrem Wohnmobil nach Gießen, dann drehen sie ihre Runde in kleinen hessischen Gemeinden und sind am Freitag schon wieder in ihrem Familienbetrieb in Coburg. 1976 hatte Helmut Sommer seine dreijährige Ausbildung begonnen, seine Frau lernte er in der oberfränkischen Glasbläserei ihrer Eltern kennen, die die beiden schließlich gemeinsam übernahmen. Heute arbeiten insgesamt fünf Glasbläser und -maler in und mit ihrem Traditionsbetrieb zusammen.
Die beiden Glasbläser arbeiteten in der Turnhalle konzentriert, immerhin ist die Flamme nahezu 1000 Grad heiß. In der heimischen Werkstatt stehen Öfen, die mit Sauerstoff betrieben und noch heißer werden können. Schon mehr als einmal habe er sich verbrannt, erklärte Helmut Sommer den Kindern der Schillerschule.
Das Stück darf nicht zu schnell abkühlen
Doch Glas kühlt in zwei, drei Minuten schnell ab – das ist oft zu rasch für manch ein Werkstück. Deshalb stehen in der Werkstatt der Sommers auch Kühlöfen, die besondere Glaskunstwerke langsam auf 500 Grad abkühlen. „Unsere Werkzeuge sind mehr als 80 Jahre alt“, erklärte Helmut Sommer, der sich selbst von der guten Laune der Kinder durch den Vormittag tragen ließ. Und als er zum Abschluss fragte, wer denn gerne Glasbläser werden würde, da reckten sich fast alle Hände in die Luft.